Pat Cortina richtete das Mikrofon. Der Trainer des krassen Final-Außenseiters Grizzlys Wolfsburg rückte seine Brille zurecht.
Als er dann nach seiner Meinung zum ersten Sieg seines Überraschungsteams im Playoff-Endspiel der Deutschen Eishockey Liga (DEL) bei den Eisbären Berlin gefragt wurde, war von Euphorie oder Aufregung nichts zu spüren. «Unglaublich von den Jungs», sagte der frühere Bundestrainer bloß, lobte damit aber sogar beide Teams und meinte: «Wir haben das Spiel gewonnen. Ich erwarte ein hartes Spiel am Mittwoch.» Nach außen hin wirkte er stoisch, ganz so, als wäre es einfach das nächste einer ganzen Reihe von Eishockey-Spielen.
Dabei kann Cortina mit den Grizzlys Wolfsburg dieser ungewöhnlichen und auch für ihn persönlich komplizierten Saison mit Diskussionen darüber, ob er gehen muss, ein Wahnsinnsende setzen. Er kann sich vom gescheiterten Bundestrainer zum Meistercoach entwickeln. Ein Sieg am Mittwoch (19.30 Uhr/MagentaSport) fehlt – oder im Falle einer Niederlage ein Sieg im dann entscheidenden Spiel am Freitag. Dann wäre der 56-Jährige mit Wolfsburg Champion. Dann wären die Grizzlys nach einer wechselhaften Saison der 100. deutsche Eishockey-Meister. Der erste Titel und der größte Erfolg des Clubs wären perfekt.
Mit seiner höflichen, nach außen unaufgeregten Art bot Cortina am Wochenende ein Bild, das im Kontrast stand zum Auftreten eines seiner Vorgänger in Wolfsburg. Pavel Gross wütete nach seinem Halbfinal-Aus mit Topfavorit Adler Mannheim (gegen seinen Ex-Club Wolfsburg) übel gegen die DEL. In Wolfsburg wurde Gross verehrt dafür, dass er die Niedersachsen mit eher bescheideneren Mitteln zum konstantesten Team der DEL formte. Nun kann aber Cortina das schaffen, was Gross 2011, 2016 und 2017 nicht gelang: Die Finalserie gewinnen. «Natürlich hat Pat als Cheftrainer einen großen Anteil, keine Frage», sagte Wolfsburgs Sportdirektor Karl-Heinz Fliegauf bei «MagentaSport».
Cortina war in seiner langen Trainer-Laufbahn bei weitem nicht immer so ruhig wie jetzt, er hat sich gewandelt. «Ich versuche zu denken, bevor ich spreche», erklärte der Coach dem «Sportbuzzer». «Vor 15 Jahren waren es Spieler gewohnt, angebrüllt zu werden», meinte er: «Die Kader waren kleiner, als Trainer war ich allein.»
In dieser Saison hat der Italo-Kanadier als Anführer seines Trainer-Teams stets besänftigt und zur Geduld gemahnt. Das zahlt sich jetzt aus. Die Defensivstärke um den starken Torhüter Dustin Strahlmeier sticht heraus, die Grizzlys haben in den vergangenen Wochen aber auch ihre Offensive verfeinert. «Die Mannschaft ist gut eingestellt jetzt», sagte Fliegauf. «Wenn man dann gewinnt, dann glaubt man an die Dinge, die sich verändern.»
Weil die Grizzlys zwischenzeitlich zu oft verloren, wackelte Cortinas Job. Seine komplizierten Monate stehen sinnbildlich für die Saison der Grizzlys. Eine eindrucksvolle Serie mit neun Siegen am Stück sicherte ihn ab. Auch gegen Hauptrundenende brauchten die Grizzlys einen Erfolgslauf, um überhaupt in die Playoffs zu kommen.
Jetzt spielt der Außenseiter um den Titel statt der Topclubs Mannheim oder München und kann nach dem 3:2 nach Verlängerung am Sonntag bei den Eisbären die Hoffnungen des Mitfavoriten Berlin schnell zunichte machen. Man könne gar keine bessere Geschichte schreiben, wenn man bedenke, wo das Team herkomme, sagte Siegtorschütze Julian Melchiori.
Natürlich weiß auch Cortina, dass der entscheidende Sieg noch fehlt. Der erfahrene Coach trainierte bereits das ungarische und italienische Nationalteam, führte den EHC München in die erste Liga. 2012 stieg Cortina zum Bundestrainer auf. Diese Zeit wird allerdings auch immer mit der erstmals verpassten Qualifikation für Olympia 2014 verknüpft bleiben. Am Mittwoch kann sich Cortina mit einem vor der Saison nicht erwartbaren Erfolg einen Namen machen.