Das WM-Minimalziel wird für Deutschlands Eishockey-Team zur Nervenprobe, die Hoffnungen für die Viertelfinal-Qualifikation ruhen nun insbesondere auf NHL-Stürmer Dominik Kahun.
Ausgerechnet vor den beiden entscheidenden und kniffligen Vorrundenspielen gegen die Top-Nation USA am Montag (15.15 Uhr) und Gastgeber Lettland am Dienstag (19.15 Uhr/jeweils Sport1) steckt das Team von Bundestrainer Toni Söderholm in einem Stimmungstief. «Wir sind frustriert, wir haben einen höheren Anspruch mittlerweile», klagte der langjährige NHL-Verteidiger Korbinian Holzer: «Da ist mehr drin gewesen.»
Damit meinte der einzige deutsche Torschütze vom Samstagabend das knappe 1:2 gegen Weltmeister Finnland in einem ausgeglichenen Spiel mit einer aber viel zu ungefährlichen deutschen Mannschaft. Das anfangs forsch vermittelte Selbstverständnis, in Riga mindestens ins Viertelfinale vorzudringen, hat nach der zweiten Niederlage in Serie gelitten. Wird das WM-Projekt mit zehn Debütanten tatsächlich so erfolgreich, wie es anfangs nach drei Siegen den Anschein erweckte?
Bundestrainer Söderholm warnt
«Es ist auch eine Kopfsache», warnte Söderholm im Hinblick auf den Vorrunden-Endspurt. Alles droht auf ein Endspiel ums Weiterkommen am Dienstag gegen Gastgeber Lettland hinaus zu laufen. Es sei denn, gegen die USA gelingt ein Sieg nach 60 Minuten und Kasachstan verliert anschließend gegen Norwegen. Nicht nur deshalb hat sich die Stimmung rund um das Team ein wenig gewandelt. «Es ist noch nichts vorbei», stellte Holzer zwar klar. Doch das hatte vor dem Turnier noch anders geklungen, etwa als Markus Eisenschmid das WM-Gold der Finnen von 2019 als Vorbild nannte und meinte, es spreche nichts dagegen, dass Deutschland dies auch schaffen könne.
Nun werden die Spieler nicht mehr mit den außergewöhnlichen Chancen dieses speziellen Turniers konfrontiert. Sondern mit der Frage, wie enttäuschend ein frühes Scheitern wäre, nachdem Deutschland bei drei der vergangenen vier Turniere die K.o.-Runde erreicht hatte. Auf die Frage, wie sehr die Nerven ins Spiel kommen, antwortete NHL-Stürmer Tobias Rieder: «Ich glaube, wir dürfen nicht zu viel drüber nachdenken. Wir schauen von Spiel zu Spiel und versuchen, unsere Leistungen abzurufen und am Ende schauen wir auf die Tabelle und schauen, wo wir stehen.»
Wäre gegen den 2019-Champion Finnland ein Coup gelungen, wäre es ein riesiger Schritt für den Einzug ins Viertelfinale gewesen. Vor zwei Jahren im slowakischen Kosice hatten die Deutschen das bei Söderholms erstem Duell mit seinem Heimatland geschafft. Ebenso wie 2018 in Dänemark mit dem ersten WM-Sieg über die Finnen seit 25 Jahren.
Kahun als Trumpf?
Diesmal fehlte die Präzision in den Schüssen, das Tempo im Angriff, die Zweikampfhärte. Auch deshalb kann Kahun nun ein wichtiger Faktor werden. Warum es gegen die Finnen so wenige Chancen gab? «Die Frage ist ein bisschen gerechtfertigt», räumte Söderholm ein, «wir hätten ein bisschen besser in der Offensive spielen müssen.»
Kahun ist keiner, der allein einen Klassenunterschied ausmachen kann wie der nicht nachgereiste Superstar Leon Draisaitl. Aber darin kann auch ein Vorteil liegen. Der 25 Jahre alte Kahun hat in Edmonton eine wechselhafte Saison hinter sich, kann sich aber schnell integrieren und hat den Teamspirit vom Olympia-Silber von 2018 verinnerlicht. Allein Kahuns Anwesenheit gebe der Mannschaft einen «kleinen Schub», hatte DEB-Sportdirektor Christian Künast berichtet. «Es ist super für uns, dass er gekommen ist», schwärmte Berlins Leo Pföderl: «So einen Spieler kann jede Mannschaft gut gebrauchen.»
Der Deutsche Eishockey-Bund plant, dass der nachgereiste Ex-Münchner bereits gegen die USA spielberechtigt ist. Die Freigabe nach der notwendigen Team-Quarantäne soll am Montag folgen. «Sicherlich brauchen wir Dominik in Zukunft», sagte Söderholm über den international erfahrenen Kahun: «Dominik ist ein sehr, sehr kreativer offensiver Spieler. Er weiß, worum es geht, in dem Tempo zu spielen.»
Reichel-Einsatz unklar
Nach 17 Toren in den drei Auftaktspielen gegen die schwächeren Teams aus Italien und Norwegen sowie Kanada kamen gegen Kasachstan (2) und Finnland (1) nur drei hinzu. Ob Sturmtalent Lukas Reichel wieder helfen kann, ist nach einem Check gegen seinen Kopf aus dem Kasachstan-Spiel noch offen, seit Sonntag aber wahrscheinlicher: Da nahm der 19-Jährige wieder ohne Probleme am Team-Training teil.
«Dann heißt es einfach auch mal Tore schießen», forderte Top-Verteidiger Moritz Seider. Mit seiner Unbekümmertheit bildet der wohl baldige NHL-Profi einen Kontrast zu manchem seiner Mitspieler. Am Erreichen des Viertelfinals will der 20-Jährige gar keine Zweifel aufkommen lassen: «Wir wollen die zwei Siege natürlich holen und uns eine gute Ausgangslage fürs Viertelfinale schaffen.»