Dass er ein Genie sei, hört ein Eishockey-Trainer auch nicht alle Tage. Doch Mannheims Pavel Gross bekam nach dem kaum noch für möglich gehaltenen Comeback-Sieg gegen die Straubing Tigers eine solch überragende Begabung zugeschrieben.
Nur weil sich Gross in höchster Not für einen außergewöhnlichen Taktik-Kniff und für ein immenses Risiko entschied, vermied der Titelkandidat das Schicksal von Topfavorit EHC Red Bull München. Ab Montag (20.30 Uhr/MagentaSport) können die Mannheimer in der Halbfinalserie gegen Gross‘ Ex-Club Grizzlys Wolfsburg den nächsten Schritt zum erhofften Titel schaffen.
«Das Genie ist da nicht der Coach, das Genie ist die Mannschaft», beschwichtigte Gross bei «MagentaSport». Doch was hatte der gebürtige Tscheche eigentlich geleistet, dass er gefragt wurde, ob ihm mal jemand gesagt habe, er sei ein Genie? Er hatte in einer fast ausweglosen Situation eine Lösung gefunden, mit der Mannheim das beinahe schon sichere Aus im Viertelfinale doch noch vermied.
0:3 lag der Meister von 2019 am Samstag gegen den Außenseiter zurück, noch gut zehn Minuten waren zu spielen. Fast alles sprach für ein Saisonende, als der Taktikfuchs Gross es in zwei Überzahlsituationen kurz nacheinander riskierte, Torhüter Dennis Endras vom Eis zu holen. Ein Risiko, das eigene Tor war leer. Doch mit sechs Spielern gegen vier fiel prompt das 1:3, dann das 2:3. Der Favorit war im furiosen entscheidenden dritten Viertelfinale zurück, rettete sich mit einem dritten Tor in die Verlängerung – und siegte schließlich mit 4:3.
Er habe es zum ersten Mal erlebt, dass so früh ein Torhüter zweimal in Überzahl vom Eis genommen werde, räumte Gäste-Trainer Tom Pokel ein. Gross berichtete: «Wir haben das vor zwei Wochen hier gemacht gegen Berlin – zack in fünf Sekunden war die Scheibe in unserem Tor. Das war entweder oder. Entweder verlierst du 4:0 oder vielleicht kommst du noch zurück.»
Als bestes Vorrundenteam hatten die Mannheimer ihren Ruf als Titelkandidat bekräftigt, aber waren fast an Straubing gescheitert. Schon mit dem ersten verlorenen Heimspiel hatten sich die Adler mächtig unter Druck gebracht. Das lag auch am in der Coronavirus-Krise verkürzten – und von Gross scharf kritisierten – Playoff-Modus. Dass nur zwei statt vier Siege notwendig sind, bietet Außenseitern größere Chancen.
Das bekamen auch die Eisbären Berlin als bestes Vorrunden-Team im Norden zu spüren. Die Berliner machten es gegen Iserlohn ebenfalls spannend, aber nicht so dramatisch wie Mannheim. Berlin hatte ebenfalls Spiel eins verloren, am Donnerstag ausgeglichen und lag in Spiel drei am Samstag 0:2 hinten, ehe es einen 5:3-Sieg gab.
Neben Mannheimer Adlern gelten die Eisbären nun als Favoriten aufs Finale. Berlins Halbfinalserie gegen München-Bezwinger Ingolstadt, die ebenfalls am Montag beginnt, dürfte ausgeglichener sein als das Duell der Adler mit Wolfsburg.
Gross‘ Ex-Verein Wolfsburg hatte mit einem 3:2 nach Verlängerung die Saison für Bremerhaven beendet. Disziplinfanatiker Gross hatte die Grizzlys einst zum konstantesten Team der Liga geformt, sie vor drei Jahren aber verlassen, um unter viel besseren Voraussetzungen mit Mannheim seine Titel-Sucht als Trainer zu stillen. «Ich habe eine lange Zeit in Wolfsburg verbracht, aber es geht nicht um mich», meinte Gross: «Es spielt Mannheim gegen Wolfsburg.»