Kurzfristige Absagen vergrößerten die Sorgen von Bundestrainer Toni Söderholm für diese spezielle Eishockey-WM in seiner Heimat Finnland zusätzlich. Selbst mit der Verstärkung durch insgesamt sieben Nationalspieler vom Meister Berlin und Vize-Champion München dürften nicht alle Schwachstellen im Aufgebot verschwinden.
Zur bisher skeptisch beäugten Defensive kommen Probleme in der Offensive hinzu. Söderholm wird besonders Dominik Kahun vermissen. Der Ex-NHL-Stürmer fällt verletzt aus. Es war die nächste schwerwiegende Absage für das am Freitag beginnende Turnier.
NHL-Profi Kahun verpasst die WM
«Ich hätte den Dominik schon gern dabei gehabt», sagte Söderholm. Der 44-Jährige deutete zumindest an, wie kompliziert das Kaderpuzzle diesmal bis zuletzt war, auch wenn er das Wort «schwierig» nicht benutzen wollte: «Man merkt, dass einige Spieler 60, 70 Spiele in den Beinen haben. Es hat vieles mentale Energie gekostet», sagte Söderholm und berichtete: «Es gab Spieler, die ein bisschen kurzfristig abgesagt haben, die vor einem Monat vielleicht noch Kraft hatten. Jetzt, wo die Saison vorbei war, war das auf einmal anders.»
Am Dienstag steigt der WM-Halbfinalist von 2021 und Olympia-Zehnte von Peking somit trotz des Sieges gegen Österreich im letzten WM-Test mit Zweifeln in den Charterflieger nach Helsinki. Kahun war in der Vorbereitung angeschlagen. Beim 3:1 am Sonntag in Schwenningen, als die Auswahl keine WM-Form zeigte, hatte der 26-Jährige aber gespielt.
Bis zuletzt fahndete Söderholm nach stärkerem Personal, das die erste Herausforderung am Freitag (19.20 Uhr/Sport1) gegen Titelverteidiger Kanada annehmen kann. Im Februar in Peking hatte das Team mit dem Olympia-Aus vor dem Viertelfinale enttäuscht. Das WM-Ziel soll nach DEB-Angaben erst in den kommenden Tagen festgelegt werden.
Dass weitere Stürmer wie Berlins früherer Nordamerika-Profi Manuel Wiederer und die Münchner Patrick Hager und Frederik Tiffels absagten, schwächt die Auswahl für die angestrebte Olympia-
Wiedergutmachung weiter. Gründe für die Absagen dieses Trios wollte Söderholm nicht nennen.
Seider hofft auf einen «Push für das Team»
Auf Meister-Goalie Mathias Niederberger, die Berliner Verteidiger Jonas Müller und Kai Wissmann sowie die Eisbären-Stürmer Marcel Noebels und Leo Pföderl kann der Bundestrainer immerhin bauen. Angreifer Yasin Ehliz ist neben dem schon am Sonntag eingesetzten Maximilian Kastner einziger Münchner.
Die zusätzliche Herausforderung liegt nun darin, die neuen Kräfte in wenigen Trainingseinheiten und im Falle der Berliner nach einer ausgelassenen Meisterparty schnell zu integrieren. «Die wichtigsten Tage, die man traingsmäßig bei der WM hat, sind jetzt am Anfang», sagte Söderholm.
Die Finalteilnehmer könnten dem «Team auch noch mal einen richtig guten Push geben», sagte NHL-Verteidiger Moritz Seider hoffnungsvoll. Der 21-Jährige von Detroit ist neben Ottawa-Stürmer Tim Stützle und Weltklasse-Torhüter Philipp Grubauer von den Seattle Kraken einer von drei NHL-Profis im Aufgebot – und der herausragende Verteidiger.
Defensive bereitet DEB-Team Sorgen
Die Besetzung der Defensive weckte bis zuletzt wenig Hoffnung auf ein erfolgreiches Abschneiden. Aber auch in der Offensive trat in Schwenningen fünf Tage vor dem WM-Start eine Formation an, mit der das Minimalziel Viertelfinale selbst in einer auf dem Papier schwächeren Vorrundengruppe keine Selbstverständlichkeit sein dürfte. Mangelnde Effizienz, Puckverluste, inkonsequentes Zweikampfverhalten listete Söderholm als Probleme auf. «Es sind eigentlich die für uns wichtigen Sachen, da müssen wir uns steigern», sagte der Finne.
Dass Spieler in einer Olympia-Saison auf eine WM verzichten, ist nicht unüblich. Die Folgen der Corona-Pandemie raubten zusätzlich Energie, andere Spieler sind verletzt. Dass die früheren NHL-Profis Tom Kühnhackl und Tobias Rieder fehlen, stand schon fest, bevor der DEB den Kader verkündete. Umso wichtiger wäre es, wenn im Laufe des Turniers weitere Profis aus Nordamerika nachrücken würden. Söderholm erwägt, nicht alle Kaderplätze sogleich offiziell zu melden. Dass NHL-Topstar Leon Draisaitl kommen wird, ist unwahrscheinlich.
Längst nicht so forsch wie vor Olympia geht das Nationalteam die WM an. «Es kann auch ganz schnell viel Kritik geben, wenn mal ein Spiel nicht so läuft. Deswegen will ich gar nicht viel sagen», meinte Ottawa-Stürmer Stützle. Torhüter Grubauer indes wich vom festen Glauben an die Mannschaft nicht ab. «Natürlich ist unser Ziel, Gold zu holen», sagte er dem «Kicker» (Montag).