Der perfekte WM-Start stärkt bei Deutschlands Eishockey-Truppe die Sehnsucht nach einer erneuten Sensation gegen Kanada.
Drei Jahre nach dem Jahrhundertspiel im Olympia-Halbfinale von Pyeonchang (4:3) fühlt sich die begabte, aber unerfahrenere Auswahl mit reichlich Selbstvertrauen wieder bereit, den 26-maligen Weltmeister zu knacken. «Natürlich wollen wir jetzt Kanada schlagen», sagte Kapitän Moritz Müller am Pfingstwochenende in Riga forsch. Es wäre der dritte WM-Sieg im dritten Spiel. «Wir wollen das Spiel gewinnen, keine Frage», befand auch Top-Verteidiger Moritz Seider.
Dem 9:4-Torspektakel gegen die corona-geplagten Italiener hatte das Team ein überraschend dominantes 5:1 gegen stärkere Norweger folgen lassen. Ohne allzu großen Druck kann die Auswahl die Herausforderung am Montag (19.15 Uhr/Sport1) gegen ein NHL-Ensemble ohne Topstars angehen. «Wichtig wird sein, dass wir jetzt nicht durchschnaufen, sondern direkt in dem Tempo weitermachen», forderte Müller. Leon Gawanke, Verteidiger in der zweitklassigen Nordamerika-Liga AHL, meinte: «Wenn man gegen Kanada spielt, die Nummer eins der Welt, ist man immer heiß. Da hat man ein bisschen Extra-Motivation.»
Unter den strengen Corona-Regeln gab es am Sonntag kaum eine Gelegenheit, um sich vor der nächsten Aufgabe abzulenken. Kein Spaziergang, kein Kaffeetrinken in der Stadt, kein Ausflug war am ersten spielfreien Tag der Deutschen erlaubt. Nur das Training bildete eine Abwechslung zum Hotel. Ob eine Eis- oder Fitnesseinheit die ideale Vorbereitung ist, überließ Bundestrainer Toni Söderholm jedem Spieler selbst. Dass sein Team nicht nur den außergewöhnlichen Teamspirit braucht, sondern sich weiter steigern muss, um wirklich für eine WM-Sensation zu sorgen, ist auch dem Finnen klar. «Die Kanadier werden sich auch steigern», prophezeite der 43-Jährige.
Schließlich war die Top-Nation mit einem überraschenden 0:2 und der ersten WM-Niederlage gegen Lettland überhaupt in das Turnier gestartet und offenbarte auch beim 1:5 am Sonntagabend gegen die USA noch reichlich Luft nach oben. Dass Kanada aufgrund der besonderen Umstände der WM weniger prominent besetzt ist als sonst, könnte auch Deutschland zugute kommen. «Die Nordamerikaner haben vielleicht mehr Fragezeichen als sonst, die Spieler sind ein bisschen unbekannter», sagte Söderholm der Deutschen Presse-Agentur, und Seider bekräftigte: «Wir gehen mit voller Vorfreude rein. Wir wollen uns nicht verstecken. Die Letten haben es uns vorgemacht. Jetzt sind wir am Zug.»
In der Vergangenheit waren die Deutschen oft mit dem Vorhaben angetreten, nicht zu hoch zu verlieren – und das ging dann doch mal schief, wie beim desolaten 0:10 2015 in Prag. Letztmals schaffte Deutschland gegen Kanada mit dem famosen 5:1 1996 in Wien einen WM-Coup. Kapitän war damals Dieter Hegen, Peter Draisaitl einer der Torschützen. Auf dessen Sohn Leon Draisaitl, aktuell einer der weltbesten Spieler, muss die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bunds in Riga verzichten – und beeindruckt ohne ihn mit einer ganzen Reihe unterschiedlicher Torschützen.
Mit seinem sehenswerten Solo gegen Norwegen machte der erst 19 Jahre alte WM-Debütant Lukas Reichel, der als künftiger NHL-Spieler gilt, besonders auf sich aufmerksam. «Lukas ist auf dem Niveau sehr stark reingekommen», lobte Söderholm. Auf fünf Scorerpunkte kommt Reichel bereits, ebenso wie sein Berliner Teamkollege Marcel Noebels. Die Sturm-Reihe vom deutschen Meister Eisbären mit Leo Pföderl als Drittem harmoniert so glänzend wie in der gesamten DEL-Saison. Das Selbstbewusstsein des Titelgewinns wollen die Berliner nun auch auf die WM übertragen. «Man sieht, dass sie das ganze Jahr zusammengespielt haben», erklärte Söderholm: «Man kann sagen, dass sie da weitergemacht haben, wo sie in der DEL aufgehört haben.»
Dass der Finne im Angriff auf Blockbildung aus Spielern setzt, die sich aus den Vereinen kennen und etwa auch die Mannheimer Matthias Plachta, Stefan Loibl und Markus Eisenschmid zusammen aufstellt, zahlt sich bisher aus. «Wenn du weißt, wo dein Mitspieler ist, läuft das Spiel schneller als sonst», begründete Söderholm. Plachta bestätigte: «Man kennt sich, man weiß wie man miteinander umgehen muss. Ich glaube, das ist der Grund, warum wir so aufgestellt sind.»